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Museen, Ausstellungen und kulturelle Bildung in Bremen

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GAK Projekte: Christine Moldrickx. Ein Kopf

26. Februar 2020 by GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst

Eine Toilettenkabine, in die man sich allein oder gemeinsam zwängt. Das ist Stoff zahlreicher Literaten, aber sie animierte auch Künstler wie Duchamp oder Robert Gober, mit Alltagsgegenständen wie einem Urinal oder Waschbecken in den Galerieraum zu gehen und den Betrachter mit seinem Intimbereich zu konfrontieren. Auch Christine Moldrickx reagiert mit ihren Keramikobjekten auf Utensilien aus öffentlichen Toiletten. Im Untergeschoss der GAK, dort wo sich in öffentlichen Gebäuden gewöhnlich die WCs befinden, bringt die Künstlerin Waschbecken und Spiegel aus gebranntem und glasiertem Ton an die Wände. Einige Spiegel glänzen metallisch und verzerren, ohne dass sich darin ein Gesicht wiederspiegeln könnte, andere wiederum sind wie vom Dunst beschlagen matt-weiß glasiert, umrandet mit Linien von farbigen Markern, verwischte Spuren, wie von Taggs und Graffiti. Über den Waschbecken befindet sich kein Wasserhahn, darunter kein Abflussrohr, in dem das Abwasser in die Kanalisation oder sträflicher Weise in die Weser herabrinnen könnte. Stattdessen klafft in der Mulde am Beckenboden ein großes brachial „hereingebombtes“ Loch. Vor dem Brennvorgang durchstieß Moldrickx mit ihrem Kopf die weiche Tonmasse. Der Kopf (lat. caput), Titel dieser Ausstellung, wird zum Agens des Aufbrechens, Zerstörens, des Kaputtmachens. Das ganze System ist kaputt, und es ist nur noch die Frage von, von –, (…)

Christine Moldrickx (geboren 1984 in Münster) studierte an den Kunstakademien in Düsseldorf und Frankfurt und schloss 2016 ihr Postgraduierten-Studium an der Rijksakademie van beeldene kunsten in Amsterdam ab. Sie lebt und arbeitet in Düsseldorf und Amsterdam.

Christine Moldrickx: Sink with mirror, 2017. Courtesy die Künstlerin und Martin van Zomeren, Amsterdam. Foto: Anne Storm

Christine Moldrickx: Sink with mirror, 2017. Courtesy die Künstlerin und Martin van Zomeren, Amsterdam. Foto: Anne Storm

Christine Moldrickx: Sink with mirror, 2017. Courtesy die Künstlerin und Martin van Zomeren, Amsterdam. Foto: Anne Storm

Christine Moldrickx: Mirror, 2018. Courtesy die Künstlerin und Martin van Zomeren, Amsterdam. Foto: Anne Storm

Christine Moldrickx: Mirror, 2018. Courtesy die Künstlerin und Martin van Zomeren, Amsterdam. Foto: Anne Storm

Kategorie: Ausstellung

GAK Projekte: Esther Adam

15. Januar 2020 by GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst

Eröffnung: Freitag, 31. Januar 2020, 19 Uhr

Für ihre ortsspezifische Arbeit „Perspectives“ (2020) zeichnet Esther Adam mit transparenter Fensterfarbe sprachliche und zeichnerische Analysen auf die breite Glasfront des Projektraums der GAK. Diese kaum sichtbare, subtile künstlerische Arbeit ist eine Botschaft, die ausschließlich für aufmerksame Betrachtende gedacht ist. Denn zu sehen ist zunächst nur ein physisch leerer Ausstellungsraum. Um zu erkennen, dass dieser gleichzeitig voll von Gedankenfragmenten ist, gilt es, sich vor der Glasfläche und so auch dem Kunstwerk selbst immer wieder neu zu positionieren, Perspektiven zu ändern – sonst verschwindet das Gesehene bzw. wird zu einer unleserlichen Spur. Dieses dynamische Verhältnis, das die Bewegung und das räumliche Engagement der Betrachtenden umfasst, findet seine Parallele in dem Dargestellten. In Schrift und Bild geht Esther Adam der Beziehung des einzelnen Menschen gegenüber seiner Welt bzw. Umwelt nach. Wiederholt finden sich zwischen den Begriffen des „Ich“ und „Wir“, zwischen persönlichen Gedanken und universellen Themen, Kreise, Pfeile und andere diagrammatische Zeichen, die ein Anhängigkeitsverhältnis andeuten: die Beziehung des Individuums mit seinen Ängsten, seiner Verwundbarkeit, seiner Existenz gegenüber den Einflüssen von kollektiven Prozessen und gesellschaftlichen Situationen, von medialen und kulturellen Phänomenen sowie gegenüber den ihnen eigenen Codes und Machtsystemen.

Esther Adam wurde 1988 in Reutlingen geboren. Seit 2014 studiert sie an der HfK Hochschule für Bildende Künste in Bremen (Meisterschülerin von Natascha Sadr Haghighian).

Kuratorin: Regina Barunke

Die GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst wurde 1980 gegründet. Anlässlich ihres diesjährigen 40-jährigen Bestehens als Kunstverein in Bremen sind zahlreiche Veranstaltungen und Projekte geplant, die sich ihrer Ausstellungs- und Institutionsgeschichte widmen. Für das Jubiläumsjahr erhält die Gesellschaft für Aktuelle Kunst mit „GAK Projekte“ einen temporären Projektraum. Gleich unterhalb von ihrem jetzigen Eingang findet sich ein kleiner Raum, in dem sich junge künstlerische Positionen und Projekte präsentieren werden. Den Auftakt macht die Bremer Künstlerin Esther Adam.

Kategorie: Ausstellung

Kristina Buch: You can’t walk unless the word runs.

14. Januar 2020 by GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst

Eröffnung: Freitag, 31. Januar 2020, 19 Uhr

Wir freuen wir uns, die erste umfassende Einzelausstellung der deutschen Künstlerin Kristina Buch (geb. 1983 in Meerbusch) zu zeigen.

In der Ausstellung „You can’t walk unless the word runs.“, die bis auf eine Mehrkanal-Videoprojektion (entstanden 2015 für die Istanbul Biennale) ausschließlich aus neuen Werken besteht, beschäftigt sich die Künstlerin mit den Bedeutungsmustern von Sprache. Dem zugrunde liegt eine umfassende inhaltliche Recherche, die dem Phänomen des Sprechens und Unaussprechbaren und dem Entstehen, den Kontinuitäten und Fragmentierungen von Sprache und der ihr innewohnenden Macht nachgeht. Hat Buch in früheren Arbeiten Sprache wortwörtlich seziert und sie teilweise in andere Kontexte überführt, so ließ sie für die Ausstellung in der GAK Fahnen weben, auf denen stilisierte Zungen-Motive abgebildet sind. Daneben zeigen Video-Loops Großaufnahmen von menschlichen Mündern, die sich zu unverständlichen, glossalischen Lauten öffnen und schließen. Die Frage, „mit verschiedenen Zungen zu sprechen“, stellt sich dabei zu einer Zeit, in der Sprache zu einem immer mächtigeren und tendenziös politischen Instrument wird.

Buch wurde 2012 durch ihren Beitrag zur dOCUMENTA (13), einem Schmetterlingsgarten, bekannt. Carolyn Christov-Bakargiev lud die damals 29-Jährige als bis dato jüngste Künstlerin nach Kassel ein. Buch studierte Biologie und Theologie bevor sie ans Royal College of Art in London und zu Rosemarie Trockel an die Kunstakademie Düsseldorf wechselte. Seitdem hat sie vielfach international ausgestellt. Mit Installationen, Video, Text, Objekten und „life gestures“, wie sie ihre performativen Arbeiten nennt, erprobt sie Rituale, die Menschen, Dingen, Materialien und Lebewesen in immer wieder unerwartete Dialoge setzt.

Kuratiert von Regina Barunke.

 

Kristina Buch: Du kannst nicht gehen, solange das Wort nicht läuft., 2019. Foto: Simon Vogel, Köln

(l-r) Kristina Buch: Die Anzahlung. Hast du das vergessen? Hast du sie verloren? (keine Rechnungen), 2020; Du kannst nicht gehen, solange das Wort nicht läuft., 2019. Foto: Simon Vogel, Köln

(l-r) Kristina Buch: Notwendiges und ausreichendes Stoma. (Krabben über die Staatsbürgerschaft. Diese Grenze verläuft parallel, nicht lotrecht zu unserer Bewegungsrichtung.), 2019; Von ihren Feinden gejagt, versuchten sie, keinen Becher Wasser zu verschütten. (Eschatologie einer Wassermelone), 2019; Die Anzahlung. Hast du das vergessen? Hast du sie verloren? (keine Rechnungen), 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

(l-r) Kristina Buch: Wie würdest du mit der Schwerkraft diskutieren? (Kein Platz frei! Kein Rivale! Du hast noch nie ein Dreieck in deinem Leben gesehen!), 2012–2017; Bailout (Begriffserklärung) – ein Tisch für meine Freunde und Feinde, 2015. Foto: Simon Vogel, Köln

Kristina Buch: Die Anzahlung. Hast du das vergessen? Hast du sie verloren? (keine Rechnungen), 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Kristina Buch: Die Anzahlung. Hast du das vergessen? Hast du sie verloren? (keine Rechnungen), 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Kristina Buch: Zeichen-/Charakter-/Wesen-/Ruf-Mord (Scheitern garantiert); l-r: Tot? Gestern gesehen. Hat sich aus deinem engen Wohnzimmer geschlichen, schätze ich.; Wurzelbehandlung (wir sind unsere eigenen Taschendiebe), 2020. Foto: Simon Vogel, Köln

Kategorie: Ausstellung

Marie Cool Fabio Balducci: Can Carry No Weight

11. Oktober 2019 by GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst

Seit 1995 arbeiten Marie Cool und Fabio Balducci als Künstlerduo zusammen. Bekannt geworden sind sie durch Aktionen, in denen sie mit einfachen Gesten auf die physikalischen Eigenschaften von Materialien reagieren. Die Materialien sind gewöhnliche Gebrauchswaren aus der Büro- und Arbeitswelt: So richteten Cool Balducci in vergangenen Aktionen die Position eines DinA4 Papiers nach dem Einfallswinkel von Sonnenlicht aus oder sie strichen mit Fingern über ein gespanntes Klebeband und erzeugten dabei das leise Summen eines Insekts. Ihre Ausführungen sind konzentriert und geradezu zwanghaft entschleunigt. Durch das Einfügen eines poetischen Moments brechen sie mit den funktionalen Zuschreibungen des jeweiligen Objekts: Außenwelt und Natur finden Eingang in den geschlossenen Raum der Ökonomie und Produktivität.

„Can Carry No Weight“ beschreibt die Grenze einer Belastbarkeit. Ob es die eines Menschen oder Objekts ist, bleibt uneindeutig. Fest steht, dass eine maximale Tragkraft erreicht ist und das jeweilige System nicht mehr zulässt oder zulassen will. In der Ausstellung zu sehen sind in einer Art künstlicher Laborsituation verteilte Objekte, deren Funktion einst war, Gewichten Stand zu halten: metallische Bodenfliesen, demontierte Bürotische oder eine Serie getönter Autoscheiben von SUVs. Herausgelöst aus ihren jeweiligen Produktionsketten sind die Objekte dysfunktional und residual, abwartend und statisch. In diesem Szenario einer stillgelegten Welt führen Marie Cool Fabio Balducci mithilfe der Objekte neue Aktionen auf, die sowohl live als auch während der Ausstellungsdauer auf Flatscreens zu sehen sind.

„Can Carry No Weight“ liest sich als Ermüdungserscheinung, als ein Scheitern, eine Verweigerungshaltung oder eben auch als Warnung an ein System, das aufgrund seines maximalen Verbrauchs an Ressourcen am Rande der Kräfte ist: Hier, zwischen Abstraktion und Unproduktivität, zwischen Widerstand und der Vortäuschung eines Nichtstuns harren laut Marie Cool Fabio Balducci die Objekte, Handlungen und Settings in der zwielichtigen Dunkelheit ihrer Zuordnung, Ziele, Funktionen und Normungen.

Marie Cool wurde 1961 im französischen Valenciennes, Fabio Balducci 1964 im italienischen Ostra (Ancona) geboren. Sie leben und arbeiten in Paris und Pergola (Marken, Italien). Es ist die erste Einzelausstellung des Künstlerpaars in Deutschland.

Kuratorin: Regina Barunke

Kategorie: Ausstellung

Mattia Denisse: STATIV. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker

6. Juni 2019 by GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst

 

Mattia Denisse wurde 1967 in Frankreich, in Blois geboren, der Stadt von Jean Eugène Robert-Houdin (1), Denis Papin (2) und René Guénon (3). Seit 1999 lebt er in Lissabon und unternahm von dort ab Mitte der 2000er Jahre zahlreiche Reisen in das brasilianische Amazonasgebiet und auf die Kapverdischen Inseln. Die vorwiegend grafischen Werke und Texte, die nachfolgend entstanden, ähneln in ihrem Realismus den Zeichnungen eines Feldforschers. Sie dokumentieren Eindrücke von exotischen Landschaften und Vegetationen, aber eben auch von Mythen und kollektiven Erzählungen, die Eingang in Denisses fantastischen Bild- und Gedankenwelten finden. Dazu spielen Einflüsse der französischen Avantgarde-Literatur eine wichtige Rolle, insbesondere zu Alfred Jarry, Gründungsvater der „Pataphysik“ – als eine „Wissenschaft von den imaginären Lösungen, die die Denkskizzen symbolisch mit den Eigenheiten von Objekten, beschrieben durch ihre Möglichkeit, in Zusammenklang bringt“ – wie zu Raymond Roussel und René Daumal. So begann laut Denisse seine Reiselust in früher Kindheit mit Daumals unvollendetem Roman „Le Mont Analogue“ (1939) über einen Berg, der geographisch nicht verortbar ist und so faktisch nicht existiert, dessen mythischer Gipfel aber dennoch erreicht wurde.

In den über hundert Werken der Ausstellung verschmelzen autobiografisch Gesehenes, Erinnertes und Imaginiertes mit pata- und metaphysischen Spekulationen zu einer einzigartigen visionären Reise. Ob der Betrachter dabei auf Affen trifft, die als Anthropologen die Welt der Menschen betrachten, oder auf Eidechsen, die dem Alkoholismus verfallen sind: Die Blickwinkel drehen und wenden sich, und absurder Humor, karnevaleske Wortspiele und surreale Übersteigerung zeigen nicht nur den künstlerischen, sondern auch subversiven Wert von Denisses Phantasien.

„STATIV. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker“ ist die erste Werkschau des Künstlers in Deutschland. Sie zeigt eine Auswahl von frühen Zeichnungen und Monotypien sowie Neuproduktionen, wie die Siebdruckreihe „STATIV“ und eine Doppel-Diaprojektion. Die Ausstellung ist als ein Buch in drei Kapiteln angelegt,  ohne Anfang und Ende. Sie gibt daher keine Richtung vor sondern soll als eine literarische Erweiterung seiner tautologischen Werke, als ein zwischen Philologie und Parodie, Wahrheit und Fiktion schwebendes Geflecht von Bezügen und Anspielungen gelesen werden. In Bild und Text bietet sie so eine andere Form der Annäherung an das, was nicht zu sehen, was nicht niedergeschrieben ist und so als magisches Objekt von seinem Betrachter Besitz ergreifen mag.

(1) 1805-1871. Zauberkünstler, der unter anderem den berühmten Trick des „ätherischen Knaben“, Vorläufer der „Schwebenden Jungfrau“, erfunden hat.
(2) 1647-1712. Physiker, Mathematiker und Erfinder, der zu Vakuum, Dampfkraft und Wasser gearbeitet hat. Eine seiner Erfindungen war der Dampfkocher.
(3) 1886-1951. Autor von Schriften zur Metaphysik und Esoterik.

Kuratiert von Regina Barunke

Fotos: Simon Vogel, Köln

 

Mattia Denisse: STATIV VERLAG – Der Affe Anthropologe, 2018/19
Mattia Denisse. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker, Ausstellungsansicht, GAK Bremen 2019
Mattia Denisse. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker, Ausstellungsansicht, GAK Bremen 2019

Mattia Denisse. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker, Ausstellungsansicht, GAK Bremen 2019
Mattia Denisse. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker, Ausstellungsansicht, GAK Bremen 2019
Mattia Denisse. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker, Ausstellungsansicht, GAK Bremen 2019

Mattia Denisse. Der Affe Anthropologe VS Die Eidechse Alkoholiker, Ausstellungsansicht, GAK Bremen 2019

Kategorie: Ausstellung Stichworte: Bremen Ausstellung, GAK, Mattia Denisse

Straub/Huillet/Cézanne. Seelen malt man nicht

12. Februar 2019 by GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst

Harald Bergmann, Gerald Domenig, gerlach en koop, Peter Handke, Ana Jotta, Pierre Leguillon, Erle Loran, Benoît Maire, John Rewald, Ker-Xavier Roussel, Hartwig Schwarz, Straub/Huillet, Joëlle Tuerlinckx, Rémy Zaugg

„Seelen malt man nicht“ ist ein Zitat aus Jean-Marie Straub und Danièle Huillets Film „Une visite au Louvre“. Der junge Joachim Gasquet begleitet Cézanne bei seinen regelmäßigen Besuchen in das Pariser Louvre-Museum, über das der Maler in einem Brief schrieb: „Der Louvre ist das Buch, in dem wir lesen lernen. Doch dürfen wir uns nicht damit begnügen, die schönen Formeln unserer Vorgänger beizubehalten. Suchen wir, uns von ihnen zu entfernen, um die schöne Natur zu studieren; trachten wir danach, den Geist zu erfassen, und bemühen wir uns, uns unserem persönlichen Temperament entsprechend auszudrücken“. Das französische Filmemacherpaar Straub/Huillet widmete dem Maler in Folge zwei Filme: „Cézanne. Dialogue avec Joachim Gasquet“ (1989, dt. Fassung: Paul Cézanne. Im Gespräch mit Joachim Gasquet) und „Une visite au Louvre“ (2003).

Für den ersten Film wurden Straub/Huillet (1933 in Metz/Paris 1936-2006 Cholet) vom Pariser Musée d’Orsay eingeladen, ein Porträt über den jungen Cézanne zu drehen. Sie entschieden dagegen und konzentrierten sich auf den letzten Lebensabschnitt zwischen Frühling 1896, als der 57-jährige Cézanne den jungen Joachim Gasquet traf, er sich seinem ‚motif‘ der Montagne Sainte-Victoire widmete, und 1906, als der Maler starb. Das war zu der Zeit, von der Gasquet erzählt, er habe auf der Straße gehört, wie hinter dem Rücken von Cézanne Leute sagten: „Solche Maler sollte man erschießen“. Eine ähnlich harsche Kritik und Unverständnis traf auch das filmische Werk der ‚Straubs’.

Joachim Gasquet, Schriftsteller und Kunstkritiker, war Sohn eines Schulfreundes von Cézanne aus Aix-en-Provence. Aus den gemeinsamen Besuchen im Louvre entstand eine Freundschaft, die sich in Briefen, Gesprächen und 1921 in Gasquets zweibändigem Buch „Cézanne“ niederschlug. Letzteres bildet auch die inhaltliche Grundlage für den Nachfolgerfilm „Ein Besuch im Louvre“, in dem Cézanne weniger über seine Lehre spricht als über Künstler und Traditionen, die sein Werk beeinflusst haben. Gemeinsam gehen sie durch das Museum von Tintorettos idealer, vibrierender Malerei des Himmels zu Courbet, dem Maler der Commune, dem Maler der Erde. Cézannes Kommentare spiegeln dabei nicht nur seinen persönlichen Geschmack wider, sondern eine uralte Debatte in der Geschichte der Malerei. Die Filmemacher Straub/Huillet demonstrieren ihre Komplizenschaft mit Cézannes Beobachtungen, indem sie beispielsweise dann Schwarzbilder einsetzen, um Werke von Künstlerkollegen zu verdecken, die er vehement ablehnt. Vor Werken, die Cézanne jedoch bewundert, dehnen sie ihre eigene Bewunderung unendlich aus, indem sie die Kamera nah ans Bild heranführen, um jedes einzelne Detail einzufangen und dort unbeirrt zu verharren. In beiden Filmen wird so ein Ausblick eröffnet, was Malerei heute sein könnte – ein Ausblick, wie ihn nur wenige in den letzten Jahrzehnten innerhalb ihrer Malerei aufzeigen konnten.

Ausgehend von den zwei genannten Filmen, beschäftigt sich die Ausstellung mit der Fragestellung, was Malerei ist, und leitet sie über das Medium Film in einen weiter gefassten Diskurs, der das Verhältnis von Malerei, Fotografie und Film untersucht. Dafür präsentiert sie Werke und Archivalien von ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern, die mögliche Antworten, Weiterführungen oder Infragestellungen derselben formulieren und insbesondere das Thema von Bildbetrachtung, Bildbeschreibung und Bildkritik in den Blick nehmen.

Danièle Huillet schrieb in einem Entwurf zu dem Filmprojekt: „Wir werden wieder sehen müssen, besser sehen, wirklich sehen, Leinwände, die wir nicht kennen, und Cézanne wird uns dabei helfen, mit seinem durchdringenden Blick.“ In einer Welt, in der Bilder hergestellt werden, um als Waffen Seelen zu verletzen, ist Straub/Huillets konzentrierte Bewegung hin zur Malerei eine entschieden politische Tat und somit aktueller denn je.

Kuratorin: Regina Barunke

Kategorie: Ausstellung

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